Minerwa Tahir – Timely Histories

Crippled Future: Die Zeitlichkeit der Behinderten in Karatschi (1857–1947)

Minerwa Tahir (Doktorandin)

Ziel dieses Projekts ist es, eine Geschichte darüber zu schreiben, wie die Menschen, die im kolonialen Karatschi in den Docks lebten und arbeiteten, der Zeit einen Sinn gaben, insbesondere im Hinblick auf die Zukunftsplanung. Es strebt an, sich mit der zeitlichen Dimension sozialer Beziehungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Karatschi zu befassen, wobei den Problemen des Raums (space), die mit der zeitlichen Dimension verflochten sind, besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Hafenarbeiter*innen in der Region, ihre Verhandlungen mit der neu entstehenden Gesetzgebung in Bezug auf soziale Sicherheit und Entschädigung (insbesondere nach Unfällen und Krankheiten), ihre Wohnverhältnisse sowie Proteste, Forderungen, Planungen und die Spannungen, die mit Fragen der Ethnizität, der Familie und Gender in der Zukunftsplanung verbunden sind.

Die Beziehung zu Geld, die in all diese Aspekte der Zukunftsplanung eingebettet ist, ist ein klares zu Grunde liegendes Thema. Die Planung der Zukunft für die eigene Familie durch wirtschaftliche Institutionen wie Renten und Versicherungen hat einen sozialen Aspekt. Die Einbettung von Geld in soziale Beziehungen schafft etwas völlig Neues. Familienbeziehungen sind dadurch betroffen – selbst wenn eine verwitwete Frau jahrelang von ihrem Neffen abhängig war und er ihre Hauptbezugsperson ist, kann sie keine Entschädigung verlangen, wenn er bei einem Arbeitsunfall ums Leben kommt, weil die Kolonialverwaltung die„Doktrin der Abhängigkeit“ bei der Bestimmung der Erben verworfen hat. Auf diese Weise werden erweiterte Familienbande untergeordnet und ausgehöhlt, und eine scheinbar ökonomische Kategorie verändert das Wesen der Familie in den postkolonialen südasiatischen Metropolen grundlegend. Natürlich führt die Frage, wer Anspruch auf die Lebensversicherung oder die Rente hat, zu Streitigkeiten im Familienleben. All dies zeigt, dass Geld nicht als eine abstrakte Kategorie außerhalb sozialer Bindungen steht, sondern Teil dieser sozialen Bindungen wird. Die Einführung formalisierter sozialer Sicherheit und Entschädigung würde auch bedeuten, dass die Auseinandersetzung mit Recht und Legalität (Prozesse der bürokratischen/administrativen Geltendmachung von Ansprüchen und deren Bewilligung/Verweigerung) für die erfolgreiche Planung der Zukunft ebenfalls von entscheidender Bedeutung sein wird.

Die Dissertation gliedert sich in zwei verschiedene Abschnitte. Der eine konzentriert sich auf das institutionelle Element des „Gebenden“ , in dem die Geschichte von Versicherung, Rente, Unterstützung und sozialer Sicherheit als Mittel zur Planung und Sicherung der Zukunft untersucht wird. Der andere Abschnitt konzentriert sich auf die Seite der „Empfangenden“der Geschichte: Es geht um die Arbeitnehmer*innen und ihre Familien, die diese wirtschaftlichen Sicherheitsinstrumente forderten, darauf zugriffen und in Anspruch nahmen. Die Frage, wie die*der Empfänger*in die Verfügbarkeit finanzieller Sicherheiten mit Praktiken wie dem Besuch eines Schreins oder Mandirs zur Sicherung der eigenen Zukunft verband und ergänzte, ist wichtig, um die Bedeutung der Zukunft und die unzähligen Praktiken zu verstehen, die zur Zukunftsplanung im weiteren Sinne eingesetzt wurden. Konkret bedeutet dies, zu untersuchen, was Sozialpolitik wie die „Entschädigung für Arbeiter*innen“ für die Hafenarbeiter*innen bedeutete, auf welche Weise sie Anspruch auf diese sozialen Sicherheitsmaßnahmen hatten und/oder sie einforderten, welche Rolle die Beziehung zwischen Geld und sozialer Sicherheit bei der Zukunftsplanung spielte und wie sich dies auf die sozialen Beziehungen sowohl im Arbeitsbereich, als auch innerhalb der Familie auswirkte.

Während der methodische Schwerpunkt auf der Zeitlichkeit liegt, sind die Menschen, die Behinderung entweder direkt am eigenen Körper oder durch die Pflege einer behinderten Person erfahren haben, Gegenstand der Studie. Behinderung ist nicht nur ein Zustand körperlicher Beeinträchtigung allein, sondern eine gesamte Machtdynamik, die durch normatives Nicht-Können verkörpert wird, d. h. die Art und Weise, wie die Gesellschaft einen Menschen aufgrund von Unterscheidungen wie körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, langfristigen Krankheiten und Zuständen oder Alter behindert. Wir versuchen zu verstehen, wie die soziale Bedeutung von Zeit mit der sozialen Bedeutung von Behinderung interagiert.