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Wir machen weiter

In der „Gesellschaft zur Förderung des ZMO e.V.“, kurz „ZMO-Freundeskreis“, engagieren sich sowohl Alumni als auch KollegInnen weiterer nationaler und internationaler Institutionen aus dem Arbeitsumfeld des ZMO. Neben der Organisation regelmäßiger Veranstaltungen wurde 2024 ein Stammtisch zur Förderung von Vernetzung und Austausch ins Leben gerufen. Seit 2023 sind Prof. Udo Steinbach und ZMO-Alumna Dr. Claudia Ghrawi Vorsitzende der Gesellschaft. Im folgenden Gespräch mit Claudia Ghrawi berichtet Freundeskreis-Mitglied Dr. Thomas Würtz, stellvertretender Direktor des Orient-Institut Beirut (OIB) aus seinem beruflichen Alltag.

Claudia Ghrawi: Herr Würtz, Sie sind stellvertretender Direktor des Orient-Institut Beirut (OIB) und arbeiten und leben überwiegend im Libanon. Bevor wir über Ihre Arbeit am Orient-Institut Beirut und die veränderte Situation seit dem 7. Oktober 2023 sprechen, würden Sie kurz erläutern, was die Aufgabe des Orient-Instituts ist?

Thomas Würtz: Das OIB widmet sich seit über sechzig Jahren den Beziehungen zwischen Forschenden aus Deutschland und deren Fachkollegen in den Gesellschaften des Vorderen und Mittleren Orients. Neben der wissenschaftlichen Arbeit insbesondere auf den Gebieten der Linguistik, Geschichte, Islamwissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaften unterhält das Orient-Institut darüber hinaus Netzwerke in viele Bereiche der regionalen Kultur, Politik und Wirtschaft. Besonders wichtig sind auch die wissenschaftlichen Publikationen des Orient-Instituts, die Reihen Bibliotheca Islamica (BI) und Beiruter Texte und Studien (BTS).

Claudia Ghrawi: Wie sah Ihre Laufbahn bis hin zum stellvertretenden Direktor des OIB aus?

Thomas Würtz: Meine Forschungsinteressen liegen vor allem auf den Gebieten Koran und Koranexegese, Koranübersetzungen und Theologiegeschichte sowie auf der muslimischen Sicht der Kreuzzüge. Nach dem Studium der Islamwissenschaft, Politik und Philosophie in Bamberg und Kairo führte mich meine Doktorarbeit zur islamischen Theologiegeschichte an die Universität Zürich. Danach kamen wissenschaftliche Mitarbeiten an den Universitäten Bern und Aarhus, die mehrere Forschungsreisen nach Ägypten und Pakistan beinhalteten. Im Jahr 2015 lehrte ich als Gastdozent an der Freien Universität Berlin. Spannend waren auch die Jahre als Wissenschaftlicher Referent an der Katholischen Akademie in Berlin, in denen ich zu Islam und Nahost sowie zum christlich-muslimischen Dialog gearbeitet habe. Im Mai 2021 trat ich dem Orient-Institut Beirut als stellvertretender Direktor bei. Damals wurden dort gerade die Jubiläumsfeierlichkeiten zum sechzigjährigen Bestehen des Orient-Instituts vorbereitet. Das wurde dann im Dezember 2021 ein wirklich besonderes Ereignis.

Claudia Ghrawi: In dieser Zeit wurde die Situation im Libanon auch aus anderen Gründen immer schwieriger. Die politische Instabilität war seit der Explosion im Beiruter Hafen im August 2020, bei der mehr als zweihundert Menschen ums Leben kamen, noch angewachsen. Auch wirtschaftlich ging es dem Land damals bereits schlecht. Wie erlebten Sie den Alltag in Beirut?

Thomas Würtz: Das OIB befindet sich unweit des Parlaments und des Grand Serail, dem Sitz des libanesischen Premierministers. Da sehen wir an den Demonstrationen und den Menschen, die auf die Straßen kommen, ob gerade etwas Kontroverses verhandelt wird und welche Berufsgruppe sich bemüht ihre Situation zu verbessern. Aber im Großen und Ganzen herrschte im Zentrum Beiruts so etwas wie Normalität. Dort bekam ich auch von der angespannten wirtschaftlichen Lage relativ wenig mit, auch wenn sie natürlich oft Gesprächsthema war. Dies liegt auch daran, dass wir als ausländische Staatsbürger angehalten sind, den deutlich ärmeren Süden der Stadt, in welchem die Hizbollah sehr stark vertreten ist, möglichst zu vermeiden. Doch immer, wenn ich doch kurz in die Gegend kam, war die ganz andere politische Ausrichtung zu spüren. Ähnlich wie in der Bekaa Ebene sind hier Bilder des im ehemaligen Hizbollah Chefs Nasrallah wie auch iranischer Politiker allgegenwärtig. Dies ist dann natürlich ein enormer Kontrast zu den nördlichen Stadtvierteln, in denen es sich manchmal anfühlt, als sei ich eher in einer südfranzösischen Stadt unterwegs.

Claudia Ghrawi: Nach dem 7. Oktober 2023 kamen kämpferische Auseinandersetzungen zwischen der Hisbollah und Israel im Südlibanon dazu. Das Auswärtige Amt hatte damals seine Reisewarnungen für den Libanon verschärft. Deutsche Staatsbürger wurden aufgefordert, den Libanon zu verlassen. Sie sind damals jedoch geblieben.

Thomas Würtz: Nun ja, zunächst wurden Familienangehörige aufgefordert, den Libanon zu verlassen. Das hat einige Kollegen, deren Kinder im Libanon die Schule besuchen, vor größere Herausforderungen gestellt. Dann mussten wir alle ausfliegen und im Januar 2024 sind dann viele Mitarbeiter deutscher Institutionen zurückgekehrt, aber nicht alle. In der Tat sind die deutschen Einrichtungen im Libanon sehr unterschiedlich mit der Situation umgegangen. Einige haben ihre Mitarbeiter dauerhaft zurück nach Deutschland geholt, andere nicht. Auch unter den europäischen Staaten war die Reaktion sehr unterschiedlich. Während das Auswärtige Amt deutsche Staatsbürger zurückrief und vor Besuchen in der Weihnachtszeit warnte, lud die italienische Botschaft zum Adventscafé ein…

Claudia Ghrawi: Wie hat sich die Arbeit am OIB damals verändert?

Thomas Würtz: Tatsächlich hatte das OIB für den 19. Oktober 2023 eine Veranstaltung zu Frauenrechten in Nabatiya im südlichen Libanon geplant. Diese Veranstaltung haben wir abgesagt. Ehrlich gesagt haben die Menschen sich zu diesem Zeitpunkt auch mit anderen Dingen befasst, da hatte niemand Interesse an akademischen Vorträgen. Im November und Dezember 2023 haben die meisten Aktivitäten des OIB geruht. Die inhaltliche Arbeit und vor allem die individuelle Forschung unserer Mitarbeiter und Stipendiaten ging stets weiter.

Im Januar 2024 bin ich nach Beirut zurückgekehrt und habe meine Arbeit vor Ort wieder aufgenommen., mit dem Unterschied, dass für das Jahr 2024 viele Aktivitäten in Deutschland oder noch verstärkt in Ägypten geplant wurden, wo wir seit über zehn Jahren eine Zweigstelle haben. Das Direktorat und die Kollegen des OIB nutzten die Gelegenheit, um Kontakte mit Forschungseinrichtungen in Ägypten auszubauen und zu intensivieren. Natürlich konnten wir am OIB keine Praktika für deutsche Staatsbürger anbieten. Dafür hatten wir 2024 einen Praktikanten aus dem Libanon und eine Praktikantin aus Ägypten. Zwei Praktikanten aus Deutschland haben ein Online-Praktikum absolviert. Ganz still war es am OIB 2024 jedoch zum Glück nicht. Zum Beispiel hielt Udo Steinbach im Institut einen Vortrag über Perspektiven interkultureller Dialoge. Er war einer der wenigen, die auf eigenes Risiko nach Beirut gereist sind. Wir hofften damals noch, dass sich spätestens nach der Sommerpause ein dauerhafter Waffenstillstand abzeichnen würde. Letztlich lässt sich ein Institutsbetrieb auch nicht aufrechterhalten, wenn man diese abwartend optimistische Haltung nicht einnimmt und den Mitarbeitenden damit auch wieder ein Ziel aufzeigt.

Claudia Ghrawi: Aber es kam anders. Am 23. September 2024 begann Israel mit der Bombardierung Beiruts.

Thomas Würtz: Es begann tatsächlich mit den sogenannten Pager-Attacken am 18. September 2024. Ich hielt mich zu diesem Zeitpunkt am OIB auf und hörte die Sirenen der vielen Krankenwagen. Kurz darauf musste ich dienstlich nach Kairo reisen. Dort erhielt ich dann die Nachricht, dass alle deutschen Staatsbürger aus dem Libanon ausreisen sollten. Ich bin also von Kairo aus direkt nach Berlin geflogen.

Claudia Ghrawi: Wie geht es mit der Arbeit des OIB nun weiter?

Thomas Würtz: Wir machen weiter. Vermehrt in Deutschland aktiv zu sein, ist für das OIB nicht nur eine Notlösung. Die Rückbindung der Arbeit des Orient-Instituts als Teil der Max Weber Stiftung an den heimatlichen Kontext ist etwas, das sich die gesamte Stiftung schon länger vorgenommen hatte. Der Kontakt zwischen den Wissenschaftlern soll ja nicht nur im Gastland gelebt werden, sondern auch die deutschen Debatten bereichern und Eingang in Institutionen wie das ZMO finden. So fand im Oktober beispielsweise in Kassel eine Podiumsdiskussion zu den Schlachten von El Alamein statt, in der die unterschiedlichen Perspektiven aus der ägyptischen und deutschen Erinnerung thematisiert wurden. Hieran beteiligte sich auch das documenta Institut und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sowie die hessische Landeszentrale für politische Bildung. In Kooperation mit der Münchner Schule für antike Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München veranstaltete das OIB im November einen Workshop zur philosophischen Rezeption Avicennas. Am 11. November fand die traditionelle jährliche Kooperationsveranstaltung von ZMO, Katholischer Akademie, Maecenata Stiftung und OIB statt. Das veranschaulicht, wie die Arbeit des OIB in Deutschland stärker in die Fläche getragen wird. Ich bin Mitte Januar 2025 erneut nach Beirut zurückgekehrt. Auch in Beirut wird unsere Arbeit nun weitergeführt. Doch die Bombardierungen blieben nicht ohne Folgen: Eine Druckerei, mit der wir für unsere Publikationsreihen zusammengearbeitet haben, wurde schwer beschädigt und wir müssen uns nach einer Alternative umsehen. Andererseits ist unsere Bibliothek wieder geöffnet, Seminare und Kolloquien werden im OIB derzeit wieder abgehalten und für die kommenden Monate nehmen wir auch Konferenzen in unsere Planung auf. Darüber hinaus planen wir aufgrund der aktuellen Situation verstärkt Veranstaltungen zum Thema Syrien.

Claudia Ghrawi: Während Ihrer kurzen Besuche in Berlin nehmen Sie sich unter anderem Zeit für Ihre Tätigkeit im Vorstand der Gesellschaft zur Förderung des ZMO. Wie kam es zu Ihrem Engagement für die Gesellschaft?

Thomas Würtz: Ich bin seit 2018 Mitglied der Gesellschaft und hatte vorher keinen direkten institutionellen Bezug zum ZMO, inhaltlich natürlich schon. Im Jahr 2018 habe ich mit Katrin Bromber für eine Konferenz zusammengearbeitet und an einer Buchpräsentation in Dänemark teilgenommen. Sie hat bei unserem Wiedersehen in Berlin dann gleich vorgeschlagen, dass ich der Gesellschaft beitrete. Dieses Engagement lässt sich auch mit dem Hauptberuf gut verbinden, was mich sehr freut. Doch auch unabhängig davon sind sowohl das aktuelle ZMO und sein Freundeskreis ein sehr guter Ort, um sich ganz verschiedene Themen zu erschließen und neue Standpunkte kennenzulernen. Manches davon nehme ich in den Libanon mit, wo dann die Forschungen und Debatten weitergehen!

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