Kulturpolitik in der besetzten Westsahara: TV Laâyoune
Bettina Gräf, LMU München, Juni 2025
Kulturpolitik in der besetzten Westsahara:
TV Laâyoune
Dieses Mal kam ich mitten im Monat Ramadan bei meiner sahrawischen Gastfamilie im Flüchtlingslager El Aaiún im Westen Algeriens an. Der Ramadan wird strukturiert - und das ist kein Geheimnis - durch Fasten, Fastenbrechen und TV-Serien. Die meisten Serien werden sogar mit Blick auf den Fastenmonat der Muslime produziert, in dem mit hohen Einschaltquoten und entsprechenden Werbeeinnahmen gerechnet werden kann. Manchmal kommt es dabei zu politischen Eklats, wie in diesem Jahr, als ein saudisches Historiendrama über den Prophetengefährten und ersten Kalifen der Umayyaden-Dynastie Muawiya bin Abi Sufyan im Iran und Irak verboten wurde, kaum dass es auf dem Markt war.1
Umso erstaunter war ich, dass das 30-teilige Drama „Karfaf“ (Hyäne), ausgestrahlt vom marokkanischen Fernsehkanal TV Laâyoune, in meiner Familie, mit der ich es allabendlich sah, keine heftigen Emotionen und Diskussionen auslöste. Ganz im Gegenteil, nach dem Fastenbrechen Iftar, ausgiebigem Essen, Reden und zwischenzeitlichen Gebeten, saßen bzw. lagen Mutter, Vater, vier der fünf großen Kinder, das Enkelkind, ein Nachbarsjunge und ich entspannt vor dem Fernseher und fieberten dem Verlauf der intrigenreichen Handlung um ein von Sahrawis geführtes Unternehmen in der Stadt Laâyoune in der von Marokko besetzten Westsahara entgegen, die Geldgeschäfte, Habgier, Betrug, Mordanschläge und Erpressung miteinander verband.2
Die Protagonisten der Serie sprechen den arabischen Dialekt Hassaniyya, der in der Westsahara und in Mauretanien gesprochen wird. Der schlimmste Bösewicht des Dramas, Murad, ist offensichtlich Marokkaner, denn er spricht in der Serie Darija, den marokkanischen Dialekt, den die Sahrawis zwar verstehen, aber nicht sprechen. Ich staune über diese Kulturpolitik Marokkos und möchte mehr über die Serie und den Sender wissen. Fatimatu und Mohamed, meine Gasteltern, erklären mir ruhig das Nötigste, erzählen mir aber nicht zu viel über die politischen Hintergründe. Wahrscheinlich denken sie, es wäre zu kompliziert mir ihre Meinung über Marokkos Medienpolitik zu erläutern. Vielleicht wollten sie auch nicht zu ausführlich darüber reden, dass sie mit Genuss das Fernsehen ihrer Besatzer schauen.
Sie leben in der dritten Generation im Lager El Aaiún, dem größten von fünf Lagern, die Sahrawis seit ihrer Flucht aus der Heimat 1975 auf algerischem Territorium, in der unwirtlichen Wüstenregion nahe der Oasenstadt Tindouf errichtet haben. Die Flüchtlingslager werden von der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) verwaltet.3 Jedes Lager trägt den Namen einer Stadt in der marokkanisch besetzten Westsahara: El Aaiún, Auserd, Smara, Boujdour und Dakhla, als Erinnerung daran, woher sie kommen und wohin sie zurückkehren wollen. Daher kommt die Namensgleichheit zwischen Laâyoune (العيون), der Stadt in den von Marokko besetzten Gebieten, und El Aaiún (العيون), dem Lager auf algerischem Boden, in dem ich mich im März/April 2025 aufhielt.4