Sarah Jurkiewicz – Lebensalter und Generation

Junge syrische Mütter in Berlin-Marzahn: Wohnen und Praxen des ‚Zuhause-Herstellens‘

Dr. Sarah Jurkiewicz

Das Projekt untersucht Praxen des ‚Zuhause-Herstellens‘ unter Bedingungen von Flucht, Asyl und Migration. Es folgt syrischen geflüchteten Frauen die wöchentlich zu einem Frauen-Frühstück in Berlin-Marzahn zusammenkommen. Die Treffen werden von einer Beratungsstelle einer diakonischen Einrichtung organisiert. Hauptsächlich junge Mütter aus Syrien nehmen daran mit ihren Kindern, die (noch) nicht in Betreuung sind, teil, und auch ältere Frauen, deren Kinder in Deutschland leben, stoßen dazu. Hier treffen und unterhalten sie sich mit Ehrenamtlichen aus Marzahn, die Deutsch unterrichten und sie bei bürokratischen Fragen ihres Aufenthalts unterstützen (Bewerbungen, Wohnungssuche, Schulfragen).

Ein besonderer Fokus des Projekts liegt auf der Phase, in der die Frauen aus den Gemeinschafs- oder Notunterkünften ausziehen und ihr eigenes ‚Zuhause‘ aufbauen. Die gängige Annahme wäre, dass nun die ‚liminale Phase‘ von Flucht und Warten zu einem Ende kommt, wenn der eigene Ort und Raum neu konstruiert werden kann – aber ist dem wirklich so und wenn ja, inwiefern?

Um sich dieser Frage anzunähern, fokussiert die Forschung darauf wie meine Gesprächspartnerinnen ihren neuen Raum konstruieren, sowohl emotional als auch materiell. Welche Rolle spielt das Erinnern an Zuhause – die alte Wohnung oder das Haus in Syrien? Wie prägt darüber hinaus ihre Positionierungen und Präferenzen, die mit Alter, Klasse, Bildung, dörflich/ städtischem Herkunftsort zusammenhängen, ihr aktuelles Zugehörigkeitsgefühl und damit einhergehenden Praxen? Die spezifische Rolle des neuen Ortes, nämlich Marzahn, eines ehemaligen Ost-Berliner Bezirks am Rande der Stadt, ist hierfür entscheiden.

Darüber hinaus beschäftigt sich das Projekt mit Fragen genderspezifischer und räumlicher Praxen des ‚Zuhause-Herstellens‘: Wie verhandeln die Frauen ihre Rolle als Frauen und Mütter in dem neuen Setting gegenüber ihren Ehemännern, der Kernfamilie und den Familiennetzwerken (in Deutschland, der Türkei und Syrien)? Wer ist für spezielle Aufgaben im Prozess des ‚Zuhause-Einrichten‘ verantwortlich, wie dem Arrangieren von Möbeln, dem Organisieren von Care-Arbeit, der Haushaltsführung usw.? Inwiefern haben sich diese Rollen im Vergleich mit der vorherigen Situation in Syrien verändert? Wie hat sich die Beziehung zwischen Migration und Praxen des ‚Zuhause-Herstellens‘ verändert, und wenn überhaupt, die genderspezifische Vorstellung von Arbeit und Pflege?

Neben einem generell ethnographischen Ansatz, werden methodisch die Wohn-Biographien Perspektive (Biehl) und Methoden der Mobility Studies für die Durchführung des Projekts angewandt.

Die Forschung ist Teil des kollaborativen Projekts  Liminal Spaces as Sites of Socio-Political Transformation and Knowledge Production in the Arab World mit Partnern in Ägypten, Morokko und Palästina (2018-2020). Das Ziel ist die Untersuchung unterschiedlicher transitorischer Räume im Grenzbereich von politischen, sozialen und kulturellen Transformationen – und wie und welches Wissen als Reaktion auf diese Umbrüche produziert wird.