Eine Geschichte südasiatischer Nächte
Dr. Nitin Sinha (Projektleiter)
Historisch gesehen wird Arbeit als Teil des Tages betrachtet und die Nacht als passive Zeit des Schlafes angenommen. Diese Annahme hat dazu geführt, dass die Geschichte der Nacht lange Zeit vernachlässigt wurde, zumindest was Südasien betrifft.
Die Erforschung der Nacht als Teil der Gesellschaftsgeschichte (social history) der Zeit wirft einige grundlegende Fragen auf: War die nächtliche Zeitlichkeit anders als die tägliche, und wenn ja, für wen und wie? Wenn die Kontrolle von Zeit ein Ausdruck von Machtausübung war, wie hat die Nacht die tagsüber etablierte Macht bestätigt oder konfiguriert? War sie notwendigerweise die Zeit der Subversion und der Transgression? Und schließlich: Bedeutete die Nacht für verschiedene soziale Gruppen und an verschiedenen räumlichen Orten, vor allem auf dem Land und in der Stadt, das Gleiche?
Das Projekt wird die Bedeutung der nächtlichen Zeit und die damit verbundenen Veränderungen an einer Reihe von miteinander verknüpften Schauplätzen untersuchen, darunter Arbeit (Prostitution und Beseitigung des „Nachtöls“), Kriminalität (Patrouillen in der Stadt in der Dunkelheit), Recht (die Rolle der Nacht bei der Schaffung von Rechtsstaatlichkeit) sowie Freizeit und Vergnügen. Die Angst und Furcht vor der Nacht hat wahrscheinlich die Dunkelheit neu definiert, da der Kolonialstaat schon sehr früh versuchte, die nächtliche Mobilität und Geselligkeit zu regulieren. Dieser Aspekt ist von besonderer Bedeutung, da er zeigt, dass die Nacht eine entscheidende Rolle bei der Konzeptualisierung der „Rechtsstaatlichkeit“ spielte, was in der Rechtsgeschichte Südasiens bisher noch nicht als Argument aufkam.
Die rechtliche Regulierung der Nacht unter den Aspekten Arbeit und Geselligkeit sowie Kriminalität und Mobilität muss durch die Untersuchung der moralischen und sozialen Artikulationen zur Nacht ergänzt werden. Welche Rolle spielte die Nacht bei der Entstehung des so genannten privaten Raums oder der privaten Zeit? Während die zunehmende Verwendung von Straßenbeleuchtung in Europa ab dem 18. Jahrhundert die Zeit der Nacht ausdehnte, stellt sich die Frage, ob Südasien einen ähnlichen Wandel durchgemacht hat? Meine Hypothese ist, dass die Geschichte der Dunkelheit in Europa und Südasien unterschiedlich verlief. Inwieweit sich die Straßenbeleuchtung über die „presidency cities“ hinaus entwickelt hat, ist Gegenstand künftiger Untersuchungen. Im Anschluss daran wird das Projekt anhand von archivarischen und literarischen Quellen einen Vergleich der Nächte in ländlichen und städtischen Kontexten anstellen, wobei die Hypothese aufgestellt wird, dass nicht nur die sozialen Gruppen und Hierarchien, die Technologie und der Staat zusammenwirkten, um der Nacht eine Bedeutung zu verleihen, sondern dass die Nacht auch an verschiedenen Orten unterschiedlich gestaltet wurde. Dieser Strang wird die Geschichte über den Staat hinaus in den Bereich der sozialen Auseinandersetzung mit der Nacht entlang der Ideen von Überschreitungen, Romantik, Trennung und Übernatürlichem führen.